Medical Training mit Pferden: Schmied und Tierarzt stressfrei begegnen
Schon der Anblick des Tierarztes kann bei einigen Pferden das Weiß in die Augen und den Puls nach oben treiben. Nicht selten kommt es dann zu kleinen und größeren Unfällen, weil das ängstliche Pferd vor der Spritze Reißaus nimmt. Für die einen Pferde ist es der Tierarzt und jedwede medizinische Versorgung, für andere Pferde sind es die unangenehmen Geräusche und Gerüche beim Hufschmied.
Hier setzt das Medical Training für Pferde an. Es ist eine spezielle Trainingsform, um die Angst vor Unbekanntem abzutrainieren und medizinische Behandlungen für das Pferd möglichst stressfrei zu gestalten.
Was ist Medical Training für Pferde?
Bereits bei im Zoo gehaltenen, großen Wildtieren wie Elefanten oder Giraffen bewährt, hält das Medical Training in Pferdeställen Einzug. Das Ziel des Medical Trainings ist, durch möglichst kleinschrittiges Trainieren von medizinischen Behandlungen, dem Pferd die Angst vor diesen zu nehmen. Da das Pferd ein Fluchttier ist, das grundsätzlich Angst vor ihm unbekannten Situationen hat, wird es immer zuerst flüchten wollen. Durch mögliche Abwehrreaktionen kann es zu Unfällen von Mensch und Tier kommen.
Gleichzeitig ist das Pferd ein Gewohnheitstier, das es verdient hat, auf neue Situationen systematisch vorbereitet zu werden. Mithilfe des Medical Trainings bereitet man das Pferd auf neue Situationen Schritt für Schritt vor.
Vorteile des Medical Trainings mit Pferden
Nicht nur panische Pferde, auch von außen betrachtet ruhige Pferde profitieren vom Medical Training. Denn innerlicher Stress führt zu einer erhöhten Herzrate und kann in der Folge Untersuchungsergebnisse, wie beispielsweise Blutproben verfälschen. Medical Training senkt die Herzrate bei Behandlungen und eignet sich daher ausnahmslos für alle Pferde.
Weiterhin stärkt das Medical Training die Bindung zwischen Mensch und Pferd. Das Pferd fühlt sich verstanden, respektiert und wertgeschätzt und bringt dem Menschen mehr Vertrauen entgegen. Auf diesem Weg kann Medical Training viele Baustellen gleichzeitig abtrainieren, obwohl man sich im Training nur auf eine konzentriert. Das Pferd wird sich in Gegenwart seines Menschen auch in neuen, nicht trainierten Situationen sicher fühlen, selbst wenn der Tierarzt mit der Spritze kommt.
Grundlage des Medical Trainings: Die Kooperation des Pferdes
Bevor es mit dem Medical Training losgeht, sollte man sich im Vorfeld mit dem Lernverhalten von Pferden und der positiven Verstärkung vertraut machen. Eine geeignete Trainingsmethode ist hierfür das Clickertraining.
Das Pferd muss den Klick mit dem Lob in Verbindung bringen. Der Pferdemensch wiederum muss auf den Zeitpunkt genau klicken, damit das Pferd das gezeigte Verhalten mit dem Lob verknüpft und daraufhin das Verhalten vermehrt zeigt. Für jeden Schritt des Pferdes in die richtige Richtung bekommt es einen Klick bzw. ein Lob. Der Clicker wirkt hierbei als Verstärker zum Stimm- und Futterlob.
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Nun kann es mit dem Medical Training losgehen.
Es mag beim ersten Hören widersprüchlich klingen, ist es aber keineswegs: Zum erfolgreichen Medical Training mit Pferden gehört es, dem Pferd ein Mitspracherecht einzuräumen. Die Freiwilligkeit des Pferdes und seine Zustimmung zu den Behandlungsschritten sind ausschlaggebend für eine respektvolle und entspannte Atmosphäre und den Erfolg des Medical Trainings.
Es darf daher erst zum nächsten Schritt übergegangen werden, wenn das Pferd seine Zustimmung über das zuvor festgelegte Kooperationssignal gibt. Dieses Kooperationssignal kann beispielsweise das Berühren eines Targets (Zielobjekt, z.B. eine Schaumstoffnudel) mit der Nase sein oder das Auflegen des Kopfes auf einen sogenannten Kooperator (gepolsterte Kopfstütze). Löst sich das Pferd vom Target, fühlt es sich unwohl und die Behandlung wird sofort unterbrochen.
Wichtig!
Die Behandlung bzw. das Training muss abgebrochen werden, sobald das Pferd das Kooperationssignal unterbricht. Sieht man darüber hinweg, missbraucht man das Vertrauen des Pferdes und das Medical Training ist zum Scheitern verurteilt. Das Pferd soll dem Behandlungsschritt freiwillig zustimmen.
Jedes Mal, wenn das Pferd seine Zustimmung zum Trainings- bzw. Behandlungsschritt gibt, wird es kräftig gelobt. Die Trainingssequenzen werden mit der Zeit weiter ausgedehnt. Auch können die Leckerlis nach und nach durch das Stimmlob ersetzt werden, um Fressgier und dadurch entstehenden Stress zu vermeiden. Immerhin soll der Stress durch das Medical Training reduziert werden.
So startest du mit dem Medical Training am Pferd
Als Pferdemensch sollte man Trainingserfahrungen im Markertraining bzw. mit positiver Verstärkung mitbringen. Falls nicht, sollte eine trainingserfahrene Person zurate gezogen werden, insbesondere bei einem stark traumatisierten Pferd.
Begonnen wird auf neutralem Boden, mit dem das Pferd keine negativen Assoziationen verknüpft hat. Trainiert wird vom Leichten zum Schweren, mit jedem Fortschritt wird die Dauer und Intensität der Übungen erhöht:
- Kooperationssignal festlegen, erarbeiten und festigen
- Basis aller Untersuchungen: Stehen und Stillhalten
- Berühren/Abtasten und alle Übungen, die für das Pferd ungewohnt sind, aber keine Schmerzen bereiten, z.B. Fiebermessen
- Übergang zu schweren Übungen, z.B. Wurmkur verabreichen, Zähne kontrollieren, Nadeln. Im Training bitte auf Alternativen zu den Behandlungsgeräten zurückgreifen, um den Ernstfall zu simulieren (Statt Nadeln eine Zeckenzange, statt Wurmkurpräparat Mash, Wasser oder zuckerfreier Gemüsebrei für Kinder).
- Das Erlernte in eine realistische Umgebung übertragen: Hinzunehmen fremder Menschen, Gerüche (Desinfektionsmittel), Geräusche (Sprühgeräusch von Aluspray), Gerätschaften (Hufbock, Ultraschall- & Röntgengerät, Stethoskop), Örtlichkeiten oder Limitierungen wie Halfter.
Trainingsbeispiel: Das Pferd hat Angst vor Sprühflaschen
Nachfolgend erklären wir am Beispiel eines Pferdes, das Angst vor Sprühflaschen (Geräusch) mit Desinfektionsmittel (Geruch), hat, wie du das Medical Training aufbauen kannst. Als Kooperationssignal wählen wir das Berühren eines Nasentarget (Schaumstoffnudel). Voraussetzung ist, dass Pferd und Mensch mit dem Clickertraining vertraut sind.
1. Erarbeiten des Nasentargets
- Das Pferd mit einem Leckerli an die Schaumstoffnudel heranführen.
- Für das Berühren klicken und mit Leckerli loben, mehrmals wiederholen.
- Das Pferd loben, wenn es selbstständig das Target berührt.
- Solange wiederholen, bis das Kooperationssignal gefestigt ist.
2. Stillstehen
- Belohne dein Pferd, wenn es die Schaumstoffnudel für mindestens eine Sekunde berührt.
- Dehne die Berührungsdauer in Sekundenschritten aus.
- Der Klick geschieht, wenn das Pferd stillhält.
3. Kooperationssignal gefestigt: Das Pferd überall berühren
- Es darf erst zum nächsten Schritt übergegangen werden, wenn das Pferd zuvor das Kooperationssignal (Berühren des Nasentargets) gezeigt hat.
- Das Pferd wird langsam abgetastet, für jede Berührung erhält es einen Klick.
- Nimmt es die Nase vom Target weg, wird die Berührung abgebrochen.
- Langsam die Berührungszeit ausdehnen: Dauerkooperation.
4. Sprühflasche hinzunehmen
- Erst die Flasche in die Nähe des Pferdes bringen, wenn es das Kooperationssignal zeigt.
- Belohne das Pferd, wenn du die Sprühflasche in der Nähe des Pferdekörpers halten kannst. Nach dem Klick die Flasche sofort wieder wegnehmen.
- Die Berührungszeit in Sekundenschritten ausdehnen.
5. Sprühflasche sprühen
- Mithilfe des Kooperationssignals und am Ausdruck des Pferdes kannst du erkennen, ob das mit dem nächsten Schritt, Pferd einverstanden ist.
- Zuerst das Pferd an das Geräusch des Sprühvorgangs gewöhnen, daher die Flasche zuerst mit Wasser befüllen.
- Im letzten Schritt wird das Besprühen mit Desinfektionsspray trainiert, um es an den Geruch zu gewöhnen.
Was ist mit Medical Training am Pferd trainierbar?
- Pferd am ganzen Körper abtasten (das ist bereits im Fohlenalter wichtig. Lies in unserem Fohlen-Ratgeber mehr)
- PAT- Werte messen (Welche PAT-Werte Pferd nötig hat, liest du hier)
- Zahnfleisch und Schneidezähne kontrollieren
- Nadeln (zum Beispiel mit einer Zeckenzange. Bitte keine richtigen Nadeln verwenden!)
- Medikamentengabe, z.B. Wurmkur
- Wundversorgung
- Augen kontrollieren
- Zecken entfernen
- Verband anlegen (was in einen Erste-Hilfe-Koffer für Pferde gehört, liest du hier)
- Hufe (mit Hufbock) bearbeiten (die richtige Hufpflege liest du hier nach)
- Schermaschine (Lies hier, für welche Pferde welches Schermuster passend ist)
- Mit Wasserschlauch abwaschen (über die richtige Pferdewäsche haben wir hier einen Ratgeber geschrieben)